Gottesdienst am 1. November 2020 21. Sonntag nach Trinitatis

Erstellt am 31.10.2020

Wochenspruch (Römer 12,21):

Lass dich nicht vom Bösen überwinden,
sondern überwinde das Böse mit Gutem. 

Eingangspsalm (Psalm 19, 8-9):
Das Gesetz des HERRN ist vollkommen
und erquickt die Seele.
Das Zeugnis des HERRN ist gewiss
und macht die Unverständigen weise.
Die Befehle des HERRN sind richtig
und erfreuen das Herz.
Die Gebote des HERRN sind lauter
und erleuchten die Augen. 

Gebet:
Gott,
viele gute Worte sind uns überliefert.
Sie erzählen,
dass du Menschen die Kraft gegeben hast,
Wege der Versöhnung zu gehen.
Belebe uns mit deinem stärkenden Wort,
dass wir Frieden stiften und Brücken bauen.
Hilf uns um deiner Güte willen.
Amen.

Predigt (über Jeremia 29, 1.4-7):
1 Dies sind die Worte des Briefes, den der Prophet Jeremia von Jerusalem sandte an den Rest der Ältesten, die weggeführt waren, an die Priester und Propheten und an das ganze Volk, das Nebukadnezar von Jerusalem nach Babel weggeführt hatte. 4 So spricht der HERR Zebaoth, der Gott Israels, zu allen Weggeführten, die ich von Jerusalem nach Babel habe wegführen lassen: 5 Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte; 6 nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen und gebt eure Töchter Männern, dass sie Söhne und Töchter gebären; mehrt euch dort, dass ihr nicht weniger werdet. 7 Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum HERRN; denn wenn’s ihr wohlgeht, so geht’s euch auch wohl.

Nebekadnezar, der Herrscher des neubabylonischen Großreiches, hatte auch das kleine Königreich Juda besiegt, dessen Hauptstadt Jerusalem zerstören lassen, und die Oberschicht des Landes nach Babel weggeführt. Verbannung, Deportation, Exil. Verschiedene Namen für ein Leben fern der Heimat - in der Fremde. Wie lange würde das wohl währen? Lohnte es sich, die Koffer überhaupt auszupacken, oder sollten sie auf gepackten Koffern sitzend darauf warten, dass sie bald wieder nach Hause zurück kehren können? Und wie sollten sie sich in der Zwischenzeit verhalten? Wie weit sich einlassen auf die neue Umgebung, auf neue Menschen, auf deren Sitte und Sprache, auf deren Religion und Kultur? Und wie weit Distanz wahren, unter sich bleiben, die eigene Identität bewahren?

Der Brief, den die in der babylonischen Verbannung Befindlichen  vom Propheten Jeremia erhalten, ist eine Überraschung: Obwohl Gott  die Deportierten wieder nach Juda zurückbringen wird („wenn für Babel siebzig Jahre voll sind“), sollen sie in dieser Zeit keine Parallelgesellschaft bilden. Sondern sie sollen sich auf ihre fremde Heimat einlassen und dort einbringen. Sollen Häuser bauen, Bäume und Gärten pflanzen, Familien gründen. Sie sollen also in Babel heimisch werden! Warum? „Suchet der Stadt Bestes, (…) denn wenn's ihr wohlgeht, so geht’s euch auch wohl.“

Wir verlassen die Wasser von Babylon und machen uns auf Richtung Funne und Selmer Bach. Auch dort finden sich immer wieder Menschen, die fremd sind und sich fremd fühlen: Männer und Frauen aus den verschiedensten Ländern, denen vor einhundert Jahren die Zeche Hermann Arbeit und damit Lohn und Brot verspricht. Flüchtlinge, Vertriebene, displaced persons, die infolge des zweiten Weltkrieges ihre Heimat verlassen müssen und hier stranden. Seit den 70er Jahren „Wohlstandsflüchtlinge“ vor allem aus Dortmund und Lünen, die von viel Grün, guter Luft und vergleichsweise niedrigen Preisen für Zechenhäuser oder Bauland angezogen werden. In den 90ern Menschen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, die sich entschlossen haben, in der Heimat ihrer Vorfahren einen Neuanfang zu wagen. Zuletzt Flüchtlinge, die vor Hunger, Gewalt, Not ihre Heimat verlassen und hier für sich und ihre Kinder Zuflucht, Schutz, Zukunft suchen. Fremde allesamt, die vor der Aufgabe standen und stehen, in der Fremde (neu) heimisch zu werden.

Ohne diese Fremden und ihre Nachfahren gäbe es uns, die evangelische Kirchengemeinde Selm, gar nicht! Gut, dass die Menschen in dieser Gemeinde stets um ihre Herkunft und auch um ihre Aufgabe wussten. Und den Fremden dabei halfen, sich zu orientieren, anzukommen, Fuß zu fassen. Ein schönes Beispiel für dieses Selbstverständnis: der Name dieser Kirche. Nicht eine Heilige ehrend, sondern „am Markt“. Das ist mehr als eine Ortsangabe, das ist Programm: Da, wo Menschen sich versammeln und treffen, da ist der Ort von Kirche. Nicht abseits, sondern mittendrin; nah bei den Menschen und ihrem Alltag, ihren Sorgen und Freuden.

Ecclesia semper reformanda – die Kirche muss sich immer ändern, reformieren, wenn sie ihrem Herrn und ihrem Auftrag treu bleiben will. Das ist eine der Lehren, die wir aus der Reformation ziehen können. Zu diesem Auftrag der Kirche gehört, dass sie Kirche für andere ist. Dass sie offene Ohren hat für das, was die Menschen bewegt oder auch lähmt. Und dass sie offene Türen hat und die unterschiedlichsten Menschen in ihr Raum finden: Junge und Alte, Traurige und Fröhliche, Mutige und Verzagte. Die haben Raum zum Singen und Spielen ebenso wie zum Lernen und Diskutieren, zum Lachen und Weinen auch, zum Streiten und zum Versöhnen. Und gerade jetzt, in Corona-Zeiten, merken wir sehnsüchtig, wie wichtig diese Nähe zu anderen Menschen ist...

Kirche: Ein Haus, das Raum bietet für Menschen und deren Fragen und Hoffnungen. Und ein Haus, dessen Turm wie ein Zeigefinger nach oben weist, in den Himmel. Damit wir unseren Auftrag ja nicht vergessen. Damit wir der Erde treu bleiben, weder abheben in geistige Sphären noch uns wegducken vor vermeintlichem Unbill, sondern da, wo wir sind, uns einlassen, einbringen, mitgestalten – in Nachbarschaft und Gemeinde, Vereinen und Initiativen. Häuser bauen, Bäume pflanzen, Familien gründen (auch wenn momentan weniger bei Trauung und Taufe mitfeiern können): Weil das Leben weitergeht. Damit das Leben weiter geht.   Amen.

Grafik: Pfeffer

Lied: Komm, bau ein Haus

Kehrvers:
Komm, bau ein Haus, das uns beschützt, pflanz einen Baum,
der Schatten wirft, und beschreibe den Himmel,
der uns blüht, und beschreibe
den Himmel, der uns blüht. 

1. Lad viele Tiere ein ins Haus und füttre sie bei unserm Baum, lass sie dort munter spielen, wo keiner sie in Kreise sperrt, lass sie dort lange spielen, wo der Himmel blüht.         

2. Lad viele Kinder ein ins Haus, versammle sie bei unserm Baum, lass sie dort fröhlich tanzen, wo keiner ihre Kreise stört. Lass sie dort lange tanzen, wo der Himmel blüht. 

3. Lad viele Alte ein ins Haus, bewirte sie bei unserm Baum, lass sie dort frei erzählen von Kreisen, die ihr Leben zog. Lass sie dort lang erzählen, wo der Himmel blüht. 

4. Komm wohn mit mir in diesem Haus, begieß mit mir diesen Baum, dann wird die Freude wachsen, weil unser Leben Kreise zieht. Dann wird die Freude wachsen, wo der Himmel blüht.