Gottesdienst am 3. Sonntag nach Epiphanias, 24.1.2021

Erstellt am 23.01.2021

Herzlich Willkommen zum „Lesegottesdienst“.
Vielleicht suchen Sie sich einen ruhigen Ort, zünden eine Kerze an.
Summen oder singen Sie eine Melodie, oder hören Sie über YouTube-Musik das Lied:
¯Dich rühmt der Morgen (Night of the Hymns – Mega-Chor) ¯¯ 

 

Nehmen Sie ein paar bewusste Atemzüge; solange es guttut:
Beim Einatmen denken Sie: ‚Gott…‘ und beim Ausatmen denken Sie: …ich bin da.‘

 

Wochenspruch:
Und es werden kommen von Osten, Westen Norden und Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes.
Lukas 13,29

 

Im Namen des Vaters bin ich jetzt eingeladen in seine Gemeinschaft.
Im Namen des Sohnes bin ich jetzt gesehen und begleitet.
Im Namen des heiligen Geistes bin ich jetzt gesegnet.
Im Namen meines Gottes, der den Himmel und die Erde geschaffen hat, finde ich Hilfe.
Er lässt mich nicht fallen.    Amen

 

Ich bete:
Mein Gott, ich bin da. Und du bist jetzt da. Du brauchst keine Kirche, um mir zu begegnen.
Ich freue mich, dass ich zu dir gehöre; an deinem Tisch Platz genommen habe. Ich freue mich an dem Leben, das du mir heute schenkst. Ich freue mich für die Menschen, die du mir in mein Leben gegeben hast, die zu mir gehören, als Familie, in der Freundschaft, zugewandte Nachbarn und alle, die mir jetzt in den Sinn kommen. Auch ich darf anderen so ein/e BegleiterIn sein. Segne diese Stunde. Lass mich offen sein für dein Wort.
Rede mit mir – nicht nur das, was ich hören will, sondern auch, was ich zum Leben brauche.  Amen

 

Singen oder summen, oder hören Sie: (YouTube-Musik: mit Sara Lorenz – Feiert Jesus 15)
¯¯Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren  eg 316 ¯¯

He Qis Malerei „Ruth and Naomi“

Predigt zu Rut 1, 1-19

 

Die zunächst tragische Geschichte, die heute der Predigt zugrunde liegt, ist etwa 3000 Jahre alt. Und doch könnte sie sich heute überall bei uns genauso abspielen. Wie viele Menschen unter uns haben Ähnliches zu erzählen…:

 

Zu der Zeit, als die Richter richteten, entstand eine Hungersnot im Lande.

Und ein Mann von Bethlehem in Juda zog aus ins Land der Moabiter, um dort als Fremdling zu wohnen, mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen.“

Eine Hungersnot macht in unserer Geschichte eine Familie zu Auswanderern und

Flüchtlingen. Keine/r der Betroffenen ist schuld daran, dass das Leben sich plötzlich dreht und seine verletzliche Seite zeigt. Ein Krieg, eine Pandemie, eine politische Haltung wird zur Bedrohung oder eben eine Hungersnot…

Die Familie von Ebimelech trifft schweren Herzens die einzige Entscheidung, von der sie Überleben für sich und ihre Kinder erhofft: Gehen… dahin, wo es Essen und Arbeit und Chancen gibt – besonders für die Kinder.

 

2 „Der hieß Elimelech und seine Frau Noomi und seine beiden Söhne Machlon und Kiljon; die waren Efratiter aus Bethlehem in Juda. Und als sie ins Land der Moabiter gekommen waren, blieben sie dort.“

 

Äußerlich angekommen, wo es innerlich Generationen braucht, um wirklich eine Heimat zu finden. Angekommen,

im Feindesland, wo der eigene Name so fremd klingt, dass die anderen drei Mal nachfragen: Wie? Eli…was?  Angekommen, wo die Kleidung, die Geräusche, die Düfte, das Essen, die gesellschaftlichen Normen, die Religion, die Sprache, wo alles anders ist. Nicht interessant anders, wie im Urlaub. Sondern überfordernd anders. Angekommen, wo die Blicke nicht neutral sind oder gar begrüßen; sondern abschätzen, geringschätzen und dir eine Geschichte andichten, die ihre eigenen Ängste beschreibt, aber nicht dein Leben.

Es tut weh, dieses Gefühl: Nicht meine Heimat, nicht meine Seele, nicht ich.

Aber der Teller ist gefüllt, die Kinder haben eine Chance…sie werden es später leichter haben… so machen sich Elimelech und Noomi vermutlich jeden Abend Mut.

Das Gröbste liegt hinter uns, dachten sie…

 

„3 Und Elimelech, Noomis Mann, starb, und sie blieb übrig mit ihren beiden Söhnen.

4 Die nahmen sich moabitische Frauen; die eine hieß Orpa, die andere Rut.“

 

Der, mit dem Noomi die Erinnerungen an die alte Heimat, die schweren Tage dort, die Fluchtgeschichte, das Neuankommen – dieses verstehende Erinnern teilt, stirbt. Und mit ihm die ersehnte Zukunft.

 ‚Er hinterlässt eine Frau und zwei Kinder…‘ sagt man dann und fasst zusammen, was mit Worten nicht zu beschreiben ist.

Übrig bleiben in der Fremde. Übrig bleiben in einer Zeit ohne Versicherungs- und Sozialsysteme. Eine Katastrophe!! Die Familie, der Mann im Haus, war der einzige soziale Versorgungsgarant.

Die Zukunft der Kinder gestaltet sich nun anders. Erwachsen müssen sie werden; Verantwortung übernehmen; Geld verdienen…    Sie heiraten bald. Sie heiraten Frauen aus der anderen Kultur und Religion. Sie heiraten Fremde.

So, wie Noomi in der weiteren Geschichte beschrieben wird, habe ich die Ahnung von einer offenen Frau, die die neuen Wege der Söhne unterstützt, ihren Segen gibt.

Hauptsache die Kinder sind glücklich und haben ein gutes Leben. Aber das Drama ist noch nicht zu Ende.

 

„Und als sie ungefähr zehn Jahre dort gewohnt hatten, 5 starben auch die beiden, Machlon und Kiljon. Und die Frau blieb zurück ohne ihre beiden Söhne und ohne ihren Mann.

 

Das muss man erst einmal schlucken. Innerhalb von 10 Jahren verliert Noomi alles, was sie liebt und wofür sie lebt.

Das gute Verhältnis zu den Schwiegertöchtern ist ein Strohhalm, mehr nicht.

Später wird sie sich selbst einen neuen Namen geben. Nennt mich nicht Noomi – die Schöne.

Nennt mich Mara – die Bittere.

Die Jüdin Masha Kaleko fand 1945 in ihrem Gedicht ‚Memento‘ Worte, die Noomis hätten sein können:

„Vor meinem eigenen Tod ist mir nicht bang, nur vor dem Tode derer, die mir nah sind.
Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind. […]

Der weiß es wohl, dem gleiches widerfuhr; und die es trugen, mögen mir vergeben.
Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur, doch mit dem Tod der anderen muss man leben.“

 

Pragmatikerin muss man wohl sein und/oder einen Gott um sich wissen, um das selber zu überleben.

Drei Witwen alleine auf sich gestellt, hatten keine Chance. So war das. Und so entscheidet sie sich zum einzig vernünftigen Weg: Zurück gehen. Die Verhältnisse im Heimatland hatten sich zum Guten gewendet.

Also: Wieder Sachen packen, zurück gehen in die alte Heimat und trotzdem Heimatlose bleiben… das weiß sie genau. Hier war sie die aus Juda, die Jüdin. Dort zurück wird sie die Moabiterin bleiben… Aber es gilt nun, weiter zu gehen.

 

„6 Da machte sie sich auf mit ihren beiden Schwiegertöchtern und zog aus dem Land der Moabiter wieder zurück; denn sie hatte erfahren im Moabiterland, dass der HERR sich seines Volkes angenommen und ihnen Brot gegeben hatte. 7 Und sie ging aus von dem Ort, wo sie gewesen war, und ihre beiden Schwiegertöchter mit ihr. Und als sie unterwegs waren, um ins Land Juda zurückzukehren, 8 sprach sie zu ihren beiden Schwiegertöchtern: Geht hin und kehrt um, eine jede ins Haus ihrer Mutter! Der HERR tue an euch Barmherzigkeit, wie ihr an den Toten und an mir getan habt. 9 Der HERR gebe euch, dass ihr Ruhe findet, eine jede in ihres Mannes Hause! Und sie küsste sie.“

 

Diese Frau hätte ich gerne kennen gelernt und auch von ihr gelernt. Freiheit scheint ihr ein wichtiges Wort gewesen zu sein. Sich selbst die Freiheit zu nehmen, für das bestmögliche Leben.

Sich die Freiheit zu nehmen, wenn nötig, wieder Koffer zu packen, weiter zu ziehen.

Sich die Freiheit zu nehmen, in einer Gesellschaft, in der nur ein Mann der Garant für das Leben war, als Frau eigene Pläne zu schmieden und umzusetzen und aufzubrechen… ich hätte sie gerne gekannt, diese starke Persönlichkeit, ihr zugehört. Dass ihre Schwiegertöchter sie nicht gehen lassen wollen, verstehe ich gut.

 

„Da erhoben sie ihre Stimme und weinten 10 und sprachen zu ihr: Wir wollen mit dir zu deinem Volk gehen. 11 Aber Noomi sprach: Kehrt um, meine Töchter! Warum wollt ihr mit mir gehen? […] Kehrt um, meine Töchter, und geht hin; denn ich bin nun zu alt, um wieder einem Mann zu gehören. […]  Mein Los ist zu bitter für euch, denn des HERRN Hand hat mich getroffen. 14 Da erhoben sie ihre Stimme und weinten noch mehr. Und Orpa küsste ihre Schwieger-mutter. Rut aber ließ nicht von ihr. 15 Sie aber sprach: Siehe, deine Schwägerin ist umgekehrt zu ihrem Volk und zu ihrem Gott; kehre auch du um, deiner Schwägerin nach.  16 Rut antwortete: Bedränge mich nicht, dass ich dich verlassen und von dir umkehren sollte. Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. 17 Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Der HERR tue mir dies und das, nur der Tod wird mich und dich scheiden. 18 Als sie nun sah, dass sie festen Sinnes war, mit ihr zu gehen, ließ sie ab, ihr zuzureden. 19 So gingen die beiden miteinander, bis sie nach Bethlehem kamen.“

 

In Rut hatte Noomi eine Gleichgesinnte gefunden. War Rut schon immer so? Oder hat sie in ihrer Schwiegermutter eine Lehrerin gehabt, die sie innere und äußere Freiheit lehrte, die ihr Selbstbewusstsein gab, die sie stärkte und darin unterstützte, ihren eignen – ganz anderen - Weg zu gehen. Diese Noomi, die ihr eigenes Leid nicht der (Schwieger-) Tochter übertrug, damit sie wenigstens eine Leidensgenossin hatte; sondern die trotz allem das Glück der anderen schüren konnte.

Und so geht auch Rut nun ihren eigenen Weg, entscheidet sich gegen das Übliche und gesellschaftlich Anerkannte und spricht die bekannten und berührenden Sätze, die als Versprechen für jede zweite Hochzeit gewählt werden.

Die Schwiegertochter sagt es der Schwiegermutter, die ihr wohl längst zur Mutter, zur Freundin und Gefährtin geworden ist. In diesem Miteinander findet sie so viel Kraft, so viel Mut, so viel, das den Namen „Leben“ verdient, dass sie sich nicht abschütteln lässt und nun bei ihr bleibt und ihrerseits in die Fremde geht.

 

„Und als sie nach Bethlehem hineinkamen, erregte sich die ganze Stadt über sie, und die Frauen sprachen:

Ist das die Noomi?“

 

Was schwingt da alles mit? Was redete „die Stadt“ wohl sonst noch so? Man kann es hören und vor sich sehen, wie sie ihnen tuschelnd und missbilligend hinterher gesehen haben… aber insgeheim mit wehmütiger Anerkennung… denn die Rücken der beiden Frauen waren gerade.

„Ist das Noomi?“ Da schwingt die ganze Ausstrahlung einer Frau mit, die Grenzen überschritten hat,

weiter gegangen ist, immer weiter und dabei sich selbst gefunden hat.

Diese beiden Grenzgängerinnen lassen mich anerkennend lächeln und in mir höre ich ein lautes „Ja!!

Die trauen sich was!“

Trotz so viel Leid und Bitterkeit finde ich darin so viel Trost und Hoffnung und Zukunft.

 

Ich suche Gott in der Geschichte. So ausdrücklich, wie in anderen Geschichten kommt er ja nicht vor.

Ich finde ihn in seiner Hauptabsicht für uns, seine Kinder: Ich finde ihn in dem kleinen Schubser, wenn wir vielleicht zu zögerlich sind, unseren Weg zu gehen. Ich finde ihn im „Himmel“, wenn die bekannte Hölle mir mal wieder lieber ist, weil bekannt - diese trügerische Sicherheit. Ich finde ihn in dem Wort „Freiheit“.

Das ist sein erklärtes Ziel für unser Leben: Keine Sklaverei – geht in ein Land das ich euch verheißen habe.

Dieser Weg führte schon damals bekannter Maßen durch die Wüste und später Jesus Christus ans Kreuz.

So ernst ist es Gott mit unserer Freiheit, die uns über alle sozialen, ethnischen, kulturellen, politischen und selbst gezimmerten Grenzen an seinen Tisch – in seine Gegenwart - einlädt: von Osten, Westen, Norden und Süden… in Brot und Wein trotz allem und miteinander die Freiheit schmecken.

Dazu lädt uns diese Geschichte heute ein.

 

Amen

 

¯¯Singen oder summen Sie eg 667: Wenn das Brot, das wir teilen…

oder hören bei YouTube Music: ¯¯ Manfred Siebald: Gut, dass wir einander haben

Oder auch mal dies: Milva, Freiheit 

 

 

Mein Gott

Ich danke dir für die Freiheit, die ich in diesem Land leben darf.

Meine Meinung, meine Religion, meine Überzeugungen, meine Identität…

kann ich hier entfalten ohne Verfolgung.

An dieses hohe Gut habe ich mich so gewöhnt.

Ich danke dir dafür und bitte dich, mache mich zu einem

Menschen, der andern diese Freiheit zugesteht.

 

Mein Gott

In diesen Tagen und Monaten werden viele Freiheiten

eingeschränkt, damit wir keine gesundheitlichen Risiken

eingehen. Hilf uns dabei, freiwillig auf gewohnte und nötige

Rechte zu verzichten und in allem Anstrengenden zuversichtlich

zu bleiben und Zuversicht auszustrahlen.

 

Mein Gott

Du hast mir mein Leben anvertraut und zur Aufgabe gemacht.

Von Noomi und Rut will ich lernen, auch dann weiter zu gehen,

wenn Leid mich trifft und ich hergeben muss, was ich halten will:

Menschen, Orte, unbekümmertes Leben…

Du bist mein Gott, mit dem ich Grenzen überwinden und über

Mauern springen kann.

 

Ich bete mit deinen Worten: Vater unser im Himmel…

Segnen (Christa Spilling Nöker):

 

Es gibt
oasen in der wüste
leuchtendes morgenrot am ende der nacht
quellen unter geröll                                                               
und eine hand, die dich auch in den
dunkelsten stunden fest hält.

(geht gesegnet mit Wundern)

 

es gibt
türen, die sich wieder öffnen,
worte, die das schweigen durchbrechen,
gesten der versöhnung
und erste schritte auf dem weg
zu einem neuanfang

(geht gesegnet mit Mut)

 

es gibt
farben des regenbogens
knospen aus trockenen zweigen
trauer, die uns reifen lässt
und ermutigenden segen
für dich und mich

(geht gesegnet mit Zukunft)

 

Eine gute neue Woche,
vielleicht mit neuen, mutigen Schritten,
wünscht Ihnen 
Petra Grohnert