Gottesdienst zum Sonntag vor der Passionszeit - Estomihi 14.2.2021

Erstellt am 13.02.2021

Wochenspruch (Lukas 18,31)

Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird

alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten

von dem Menschensohn.

 

Eingangsworte

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.   Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn, der Himmel und Erde

gemacht hat.

 

Eingangspsalm (Psalm 31 in Auswahl)

HERR, auf dich traue ich, lass mich nimmermehr zuschanden werden,

errette mich durch deine Gerechtigkeit!

   In deine Hände befehle ich meinen Geist;

   du hast mich erlöst, HERR, du treuer Gott.

Ich freue mich und bin fröhlich über deine Güte,

dass du mein Elend ansiehst und kennst die Not meiner Seele

   und übergibst mich nicht in die Hände des Feindes;

   du stellst meine Füße auf weiten Raum.

 

Gebet

Wunderbarer, verwundbarer Gott,

im Sterben Jesu nimmst du teil am Leiden der Welt. Durch die Leidenden, die Barmherzigen und die, deren Herz voller Sehnsucht ist, forderst du uns heraus. Lass uns mit Jesus, dem Menschensohn, nach Gerechtigkeit hungern und dürsten. Amen.

Predigt

 

Die Inzidenzzahlen sinken, liebe Gemeinde, wenn auch langsam. Schneller ist das Thermometer gesunken - eine Woche lang Temperaturen unter dem Gefrierpunkt, dazu viel Schnee, und bisweilen sogar strahlend blauer Himmel mit Sonnenschein: Das gibt es in unseren Breitengraden nicht oft und ist darum um so schöner. Ob es die Narren und Närrinnen darüber hinwegtrösten kann, dass der Karneval weitgehend ausfällt? Trotzdem beginnt am (Ascher-) Mittwoch die kirchliche Fastenzeit. Und vom Fasten handelt auch der  Predigttext aus dem Buch des Propheten Jesaja (Jesaja 58, 1-9a):

 

1 Rufe laut, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden! 2 Sie suchen mich täglich und wollen gerne meine Wege wissen, als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte. Sie fordern von mir Recht, sie wollen, dass Gott ihnen nahe sei.
3 »Warum fasten wir und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib und du willst’s nicht wissen?« Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter. 4 Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein. Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll. 5 Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit oder seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der Herr Wohlgefallen hat? 6 Ist nicht das ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! 7  Heißt das nicht: Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! 8 Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen. 9 Dann wirst du rufen und der Herr wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.

Da suchen Menschen Gott, fragen nach seinem Weg – doch Gott antwortet nicht! Wer soll das verstehen? Die Betroffenen offensichtlich nicht. Sie können sich die scheinbare Abwesenheit Gottes nicht erklären. Sie können nur, empört, ratlos, verunsichert, fragen: Warum? Warum fasten wir, und du, Gott, siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib, und du willst's nicht wissen?

 

Warum - in dieser Frage klingt zugleich eine Sorge mit: An uns und an unseren Gottesdiensten und Festtagen und Gebeten kann es doch nicht liegen?!? Sieh doch, wir halten die kultischen Vorschriften exakt ein. Wir feiern die Gottesdienste nach der Agende, so wie es sich liturgisch gehört. Und wenn wir den Fastentag begehen, dann hüllen wir uns sogar in Sack und Asche. Ist das alles nicht genug?

 

So fragen sie. Und spüren gleichzeitig ein tiefes Unbehagen. Spüren, dass auch ein noch so korrekter Vollzug des gottesdienstlichen Kultes weder genügt noch Genügen bringt. Denn Gott ist ja nicht nur im Kult „zuhause“. Ist ist nicht nur am Sonntag anzutreffen, sondern auch am Alltag. Hat seine Bleibe nicht nur innerhalb der Kirche, sondern auch außerhalb derer Mauern, mitten in der Welt! Gottes Zuhause ist das Leben - da, wo es bewahrt und gefördert wird, und da, wo es behindert und gefährdet ist.

 

Wer Gott einzusperren versucht in einen auch noch so schönen und stimmungsvollen religiösen Betrieb, der versucht, Gott vom Leben abzutrennen. Der lebt selber außerhalb des Gottesdienstes dann so, als ob es Gott nicht gäbe. Und sein bester kultischer Wille verwandelt sich in Abtrünnigkeit, in Sünde: Weil der Gottesdienst zum schönen Schein verkommt, während die Wirklichkeit eine ganz andere ist.

 

Unser Predigttext wird dem sogenannten dritten Jesaja zugeschrieben, der um das Jahr 530 vor unserer Zeitrechnung wirkte. Seine Wirklichkeit und die seiner Zeitgenossen war immer noch stark von der Katastrophe des Jahres 587 und deren Folgen geprägt: Damals hatten die Babylonier der Eigenstattlichkeit des Südreiches Juda ein Ende gesetzt; sie hatten Jerusalem samt den Tempel zerstört, die herrschende Oberschicht deportiert. Die neue Großmacht, Persien, verfolgte gegenüber den unterworfenen Völkern eine andere Politik als ihre Vorgängerin Babel; die Deportierten durften wieder in ihre Heimat  zurückkehren. Aber die Probleme im Israel des Jahres 530 wurden dadurch nicht geringer: Zur allgemeinen wirtschaftlichen Not kamen nun noch große Spannungen zwischen den Da-Gebliebenen, die das entstandene Macht-Vakuum genutzt hatten, um die Karten neu (und das heißt: für sie vorteilhaft) auszuteilen, und zwischen den Rückkehrern, die auf ihre alten Rechte pochten und die Rückgabe ihrer einstigen Besitztümer und Pfründe verlangten. Dazu blieb die große Heilswende, die während des Exils angekündigt worden war, aus: Von der Offenbarung des Herrlichkeit des Herrn vor allen Völkern und vom Aufstieg Jerusalems zum Mittelpunkt der Welt war aber auch gar nichts zu verspüren. 

 

Manche in Israel glaubten damals, der einzige Grund dafür sei das immer noch zerstörte Heiligtum. „Erst wenn der Tempel wieder aufgebaut ist, wird Gott bei seinem Volk wieder Wohnung nehmen!“,

so argumentierte sie. Und sie konnten sich mit ihrer Meinung durchsetzen: Nach nur wenigen Jahren Bauzeit konnte der (zweite) Tempel in Jerusalem schon im Jahr 515 feierlich eingeweiht und seiner Bestimmung übergeben werden.

 

Ob auch die Idee des Fastens von dieser kultischen Erneuerungsbewegung getragen und vorangetrieben wurde, ist unsicher. Möglicherweise wurde schon früher, schon bald nach der Katastrophe von 587, alljährlich in Gedenken daran ein Fasten-Tag begangen. Eine Art Volkstrauertag, an dem die Demütigung von 587 rituell in einer Klageprozession regelrecht nach-erlebt wurde: um das erlittene Schicksal zu beklagen, um die eigene Schuld daran zu bekennen, und um Gott um seine gnädige Hilfe zu bitten.

Doch wie auch sonst bei solchen Gedenktagen, an denen der Blick in die Vergangenheit gerichtet ist, bestand auch damals die Gefahr, dass die Gegenwart ausgeblendet oder verklärt wird. Der Blick auf erlittene Demütigungen der Vergangenheit kann ja die Wahrnehmung eigenen demütigenden Verhaltens in der Gegenwart vernebeln. Und die Beschwörung vergangenen Leidens kann aktuelles Leiden verdecken.

 

Genau das ist es, was der Prophet seinen Landsleuten im Namen Gottes zuruft: Wenn euer Fasten an eure eigene Erfahrung von Zerstörung, Verschleppung und erzwungener Heimatlosigkeit erinnert, dann darf es doch nicht vertuschen, dass auch jetzt und unter euch Menschen bedrückt und unterjocht werden. Und dann darf es doch erst recht nicht entschuldigen, dass ausgerechnet ihr, die Unterdrückten von damals, zu den Unterdrückern von heute werdet! Ihr fastet – und zur gleichen Zeit benehmen sich die, die selbst gerade erst frei gekommen sind, wie Sklavenhalter und unterjochen andere mit starker Faust. Soll das ein Fasten sein, an dem der HERR Wohlgefallen hat?!?

 

An die Stelle des vermeintlich auf Gott zielenden Handelns setzt der Prophet auf ein Handeln, das den Menschen zugute kommt. Statt Veranstaltung von Fastengottesdiensten fordert er ein erhöhtes soziales Engagement: „Lass los, die du  mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast. (…) Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus!“

 

Wir Evangelischen haben ja eher ein getrübtes Verhältnis zum Fasten. Anders als in den orthodoxen Kirchen des Ostens, anders auch als bei unseren römisch-katholischen Geschwistern, gibt es bei uns kaum gewachsene Traditionen, und schnell unterliegt das Fasten dem Verdacht der „Werkerei“. Mir hat die Aktion „7 Wochen ohne“ einen neuen Zugang zur Fastenzeit ermöglicht. „Spielraum – sieben Wochen ohne Blockaden“ ist sie in diesem Jahr überschrieben und lädt mit unterschiedlichen Impulsen dazu ein, das eigene Verhalten zu betrachten, Blockaden in und zwischen Menschen zu erkennen und diese spielerisch zu überwinden. Bestimmt nicht die schlechteste Einübung in das Bemühen, dem Menschen als Mensch zu begegnen. Und so, gerade so, Gott nahe zu sein.   Amen.

Fürbittengebet

Gott, mitten im Alltag willst du bei uns; in dieser Welt, in dieser Zeit.

Wir bitten dich für alle, die unter Unterdrückung und Unrecht leiden.

Wir bitten für die, die kein schützendes Dach über dem Kopf haben.

Wir bitten für die, die Hunger leiden an Leib und Seele.

Wir bitten für uns: Hilf uns, deine Welt, die doch unser Lebensraum ist, zu bewahren. Und lass uns in jedem Menschen dein geliebtes Menschenkind erkennen.

 

Vater unser im Himmel ...

 

Bitte um Gottes Segen

Gott segne uns und behüte uns.

Gott lasse sein Angesicht leuchten über uns und sei uns gnädig.

Gott hebe sein Angesicht auf uns und gebe uns Frieden. Amen.

 

Liedvorschläge

Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehn (eg 675)

Brich mit den Hungrigen dein Brot (eg 420)

Komm, Herr, segne uns (eg 170)