Gottesdienst zu Beginn der Sommerferien

Erstellt am 04.07.2021

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herrn und Bruder Jesus Christus.

 

Liebe Gemeinde,

„Jetzt wird es aber höchste Zeit, dass sie zum Gegenangriff übergehen. Nur ein Tor!“ „Werden sie dieses Unentschieden über die Zeit bringen?“

Gerade in diesen Tagen ist besonders gut zu beobachten, wie unterschiedlich Zeit wahrgenommen wird.

Fehlt noch das Siegtor, sind drei Minuten Nachspielzeit unglaublich kurz.

Gilt es, eine knappe Führung zu halten, scheint die Nachspielzeit kein Ende zu nehmen. Dann wird Zeit geschunden.

Und manchmal geschieht in den letzten Minuten fast ein Wunder, wer das Spiel der Schweiz gegen Frankreich gesehen hat, hat es gesehen.

 

Selbst wer sich gar nicht für Fußball begeistern kann, hat schon die Erfahrung gemacht: Dieselbe Zeitspanne kann sich ganz unterschiedlich anfühlen.

Kommt die entscheidende Eingebung für die Lösung in der Klassenarbeit erst kurz vor Ende der Stunde, muss gegen die Uhr angeschrieben werden.

Wer keine Hausaufgaben gemacht hat, hofft, dass es endlich zur Pause klingelt, bevor …

Wer mit Kindern, einem bepackten Fahrrad oder dem Rollator die Straße überqueren will, muss rasch losgehen, sobald es grün wird. Wer noch schnell am Gleis den Zug erreichen will, starrt auf die Zeiger der Bahnhofsuhren: Klappt es noch?

Oft sind wir in unserem Alltag auch ganz unterschiedlich getaktet:

Wer noch vieles zu erledigen hat, bringt nicht dieselbe Geduld auf, an der Kasse zu warten, wie die Seniorin, für die der Einkauf die einzige Unternehmung des Tages ist, um in der Schlange Bekannte zu treffen.

In vielen Familien und Beziehungen ist es schwierig, geradezu eine logistische Meisterleistung, alle Termine und Verpflichtungen, Kindergarten, Schule und Beruf, in der Freizeit, Hobbies, Musik und Sportverein, und Verabredungen miteinander zu koordinieren.

Gut, wenn sich alle wenigstens einmal am Tag sehen, zusammen essen, sich erzählen, was sie erlebt haben, und nicht sich kurz austauschen, um nächste Absprachen zu treffen: „Los, beeil, dich. Die Zeit wird knapp. Du musst los. Du kommst zu spät.“

Oft hetzen wir eher durch den Alltag: Wir haben keine Zeit. Wir schimpfen über Zeitverschwendung. Wir haben das Gefühl, dass uns die Zeit gestohlen wird, dass sie uns davonläuft.

Wir kommen in Zeitnot, unter Zeitdruck. …

Doch dann kam die Covid-19-Pandemie – und eine neue Zeitrechnung begann.

Gerade deshalb teilen viele nach Monaten der neuen Begrifflichkeiten und Bestimmungen die Sehnsucht nach einer Auszeit, nach Ferienzeit, Urlaubstagen am anderen Ort!

Wir hoffen auf den Ausstieg aus dem Alltag durch den Einstieg in Reisebus, Bahn, Flugzeug oder Auto.

Ausschlafen statt Weckerklingeln, spielen statt spülen, spazierengehen oder wandern statt Besorgungen erledigen, lesen statt überfliegen, in Ruhe essen statt „abfüttern“, länger aufbleiben dürfen … Zeit haben für das, was sonst zu kurz kommt.

Einfach in den Tag hinein leben und die Stunden genießen. Manche kommen auch dabei unter Druck, weil sie so viel erleben wollen.

Anderen wird so ein Urlaubstag auf einmal sehr lang, die Nähe des Partners zu ungewohnt und zu eng.

Nicht wenige Kinder freuen sich gegen Ende der Sommerferien auf den Schulanfang. Wirklich!

Urlaubszeit, Ferienzeit, das ist eine Auszeit, auf die wir uns freuen, die wir in der Regel vorbereiten … Schon die Vorfreude beflügelt.

Aber dieses Jahr?

Manchmal fallen wir aber auch plötzlich aus der Zeit, eine unerwartete Entlassung, eine unklare Diagnose, ein unerwarteter Todesfall – und die Uhren scheinen für uns stillzustehen.

Vor lauter Sorge um den anderen, von Trauer überwältigt, nehmen wir Zeit und Stunde gar nicht wahr. Wir müssen auf den Kalender schauen, um uns überhaupt zu orientieren, welcher Wochentag ist.

Alles, was unsere Zeit sonst ausfüllt, uns unter Druck setzt, scheint plötzlich bedeutungslos. Irgendwann beginnen wir eine neue Zeitrechnung, die unser Leben in ein Vorher und ein Nachher unterteilt. Schmerzlich ist uns bewusst: Wir haben unsere Lebenszeit letztendlich nicht selbst in der Hand.

Es sind genau solche Situationen, in denen auch die Bibel über die Bedeutung der Lebenszeit nachdenkt: Zu Beginn des Gottesdienstes haben wir den 90. Psalm gesprochen.

Darin nimmt der Beter in Anbetracht des Todes in den Blick, wie kurz unsere Lebenszeit aus der Perspektive des Gottes ist, der Zeit und Ewigkeit geschaffen hat.

Der Beter lebt in der Gewissheit, dass seine  Zeit bei Gott aufgehoben ist. Er ist überzeugt, dass der Schöpfer selbst ihm eine Zukunft gibt, die über die momentanen Schwierigkeiten und über sich hinausweist.

Diese Zukunft Gottes ist auch die Perspektive, die Jesus seinen Zuhörern in der Bergpredigt vor Augen stellt. Die Aussicht auf die unendliche Zukunft Gottes hilft uns, unsere Maßstäbe wieder gerade zu rücken, die sich durch den Zeitgeist verbogen haben mögen.

Jesus verspricht keine Frei-Zeit, keine sorgenfreien Stunden.

Er hebt aber unseren oft auf volle Schreibtische und Notizzettel, auf Uhren und Smartphones gesenkten, auf den Bildschirm gebannten Blick auf.

Seine Worte lenken unsere Aufmerksamkeit auf die Fürsorge Gottes, die etwa in Vögeln und Blumenpracht zum Ausdruck kommt.

Wir dürfen weitersehen als auf die Sorgen von morgen.

In der Gewissheit der Treue Gottes zu uns dürfen wir zuversichtlich weitergehen. ER hat uns das Geschenk unserer Lebenszeit gegeben und lässt uns damit nicht allein.

Er lässt uns damit nicht allein, selbst wenn das Geschenk unserer Lebenszeit manchmal mehr Last als Lust ist.

Mögen die nächsten Wochen der Sommerferien uns helfen, neu das Gefühl für dieses Geschenk unserer Lebenszeit zu bekommen, dass wir uns Zeit nehmen für uns selbst und sie anderen schenken, sodass es für uns alle eine erfüllte Zeit wird. Möge es uns allen eine besondere Freude sein, dieses Geschenk neu auszupacken, bisher verborgene Seiten daran zu entdecken.

Amen